„Ente“ und Entertainer

RWE-Legende Willi Lippens wird 75 Jahre

0 10.11.2020

Zur Saison 1965/66 kam ein Stürmertalent für 4000,- DM Ablösesumme an die Hafenstraße, das für mehr als ein Jahrzehnt zum Aushängeschild von Rot-Weiss Essen werden sollte – Willi Lippens. Im deutsch-niederländischen Grenzgebiet am 10. November 1945 geboren, feiert der Vollblutstürmer in diesen Tagen seinen 75. Geburtstag.

Seine Fußballkarriere begann Willi Lippens in seiner Geburtsstadt beim VfB Lohengrin 03 Kleve. Der Weg in die Ruhrmetropole hätte ihn beinahe zum Lokalrivalen ETB Schwarz-Weiß Essen geführt. Dort absolvierte er ein erstes Probetraining. Von einer Verpflichtung sahen die Verantwortlichen aber ab, da sein Laufstil unbrauchbar sei. RWE-Trainer Fritz Pliska erkannte dagegen das Talent und erklärte im Fernsehinterview, dass man ihm den Laufstil noch abgewöhnen könne. Willi Lippens wollte sich seinen Laufstil aber nicht gerade biegen lassen und entwickelte ihn stattdessen zu seinem Markenzeichen. Die „Ente“ war geboren und wohnte in seinem ersten Jahr für 30 Mark unter dem Dach der Haupttribüne des Georg-Melches Stadion.

Für Rot-Weiss Essen schoss der Ausnahmestürmer zwischen 1965 und 1976 in 155 Regionalligaspielen 107 Tore und in 172 Bundesligaspielen 79 Tore. Hinzu kamen weitere 13 Treffer in 70 Bundesligaspielen für Borussia Dortmund in den Jahren 1976-79 und nach seiner Rückkehr zu RWE 23 Tore in 67 Zweitligaspielen.

Mit zehn Treffern in der Bundesligaaufstiegsrunde 1969 stellte er einen unerreichten Rekord auf. Lippens bestritt alle fünf Essener-Bundesliga-Aufstiegsrunden sowie die beiden Aufstiegsspiele 1980 gegen den Karlsruher SC und erzielte in 40 Qualifikationsspielen 23 Tore. In 13 DFB-Pokalspielen war er mit 5 Treffern erfolgreich. Insgesamt spielte der Fußballunterhaltungskünstler für RWE in 447 Pflichtspielen und erzielte dabei 238 Tore.

„Ich hatte Vorbilder wie Helmut Rahn und ich habe mir gewünscht, mal berühmt zu werden. Und mit ein bisschen Glück habe ich es auch geschafft.“ bekannte Willi Lippens nach seiner Karriere. Sein Trainer Ivica Horvath sah in ihm gar den besten Linksaußen Europas. Sein Erfolgsrezept war einfach: „Ich habe nie eine Torchance überhastet vergeben. Lieber habe ich sie vertändelt.“

Willi Lippens war ein Original, das nicht nur die Essener Fans, sondern die gesamte Bundesliga mit seinen Toren, unglaublichen Körpertäuschungen und unbeschreiblichen Bewegungen begeisterte. Seine Showeinlagen und Geschichten waren einmalig im deutschen Fußball. „Ich hab` den Zeitpunkt immer gut erwischt wo ich etwas machen konnte. Ich wusste, jetzt führen wir, das Ding ist gelaufen, jetzt kannst du was machen.“ Der Kabarettist Fritz Eckenga meint über das Fußballunikum: „Der hatte einen Witz, wo immer auch Intelligenz durchschimmerte.“

Es gibt einige bekannte Sprüche und Geschichten, die Lippens immer und immer wieder erzählt und mit denen er sogar in Talkshows auftritt. So soll das Unikum einem Abwehrspieler empfohlen: „Wenn du den Ball haben willst, musst du dir einen von zu Hause mitbringen.“

Eine dieser Geschichten hat sich verselbständigt, so aber nie ereignet: „Ich verwarne Ihnen“, habe ein Schiedsrichter in einem Spiel bei Westfalia Herne zu Willi Lippens gesagt, der mit „Ich danke Sie“, geantwortet habe und dafür vom Platz gestellt worden sei.

Einen Platzverweis in einem Spiel bei Westfalia Herne hat es tatsächlich gegeben – am 24.10.1971, allerdings wegen einer Tätlichkeit. Willi Lippens war in einem kampfbetonten Spiel ständig gefoult worden. Nach einer weiteren Attacke versuchte er seinen Gegenspieler in den Hintern zu treten, worauf der Schiedsrichter in der 43. Minute auf Platzverweis entschied. Im NRZ-Interview räumte Lippens ein: „Das war eine reine Reflexbewegung. Bestimmt nicht mit voller Absicht!“ Rot-Weiss-Trainer Willi Vordenbäumen meinte: „Berechtigt, denn in aller Erregung darf man nicht Nachtreten“.

In der Verhandlung vor der Spruchkammer des westdeutschen Fußballverbandes entschuldigte sich Willi Lippens für sein Verhalten und erklärte, der Schiedsrichter habe bezüglich des Feldverweises richtig gehandelt. Als Begründung für die Unsportlichkeit gab er an: „Ich wurde dauernd hart und unfair attackiert, am Trikot festgehalten und als ich in dieser Situation trotzdem im Ballbesitz blieb und ein weiterer Spieler mich unfair angreifen wollte, da platzte mir sinngemäß der Papierkragen und ich versuchte, diesem Spieler in den verlängerten Rücken zu treten.“ In der Halbzeitpause hatte Lippens dem Schiedsrichter außerdem bescheinigt: „Du hast doch keine Ahnung“, wobei er eine abweisende Handbewegung machte.

Die Strafkammer billigte die Reaktion von Lippens auf das ständige Foulspielen zwar nicht, sah die im Strafenkatalog vorgesehene Sperrstrafe von fünf Wochen aber als zu hart an und verhängte stattdessen „zwei Wochen Spielverbot für das Vergehen im Spiel und eine weitere Woche für das unsportliche Verhalten dem Schiedsrichter gegenüber.“

Seinen Platzverweis wusste das Ausnahmetalent im Nachhinein noch werbewirksam zu vermarkten: „Ich verwarne Ihnen“ – „Ich danke Sie“. Wo das in den Statuten des DFB als Schiedsrichterbeleidigung aufgeführt wird, ist wohl nur den Urhebern dieser amüsanten Legende eines Platzverweises in Herne bekannt, die erst Ende der 1980er Jahre entstanden ist. Seitdem wird sie immer neu erzählt und ist mittlerweile auf Tassen und T-Shirts, dem Eingang zu seinem Lokal und sogar als Buchtitel verewigt. Wobei Dietmar Schott in seinem Buch über Willi Lippens immerhin einräumte: „Wie viele andere kulturelle Mythen hat auch diese Geschichte sich im Lauf der Jahre und des ständigen Wieder- und Weitererzählens quasi verselbständigt.“

Als RWE in den 1990er Jahren mehrfach am Abgrund stand, bot die Kult-Figur mehrfach seine Hilfe an. Erst wollte man seine Dienste nicht annehmen und später war er mehr Notnagel als sportlicher Leiter und Trainer, der den Abstieg in die Viertklassigkeit 1998 nicht verhindern konnte. Viele Jahre war das Verhältnis zu seinem RWE angespannt.

Heute sieht man den einstigen Kult-Kicker allerdings wieder gelegentlich bei Spielen auf der Haupttribüne, die ihm zu Ehren seinen Namen trägt.

Georg Schrepper


"Ente" Willi Lippens - rechts im Zweikampf mit Berti Vogts

 

 

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